Paddy Calistro und Fred E. Basten (Hg.): Das Hollywood Archiv. Glamour & Geheimnis. Hollywoods Goldene Jahre.
Wien: Brandstätter 2000. (Ein Angel City Press Buch). 350 S. m. 500 Farb- u. Duotone-Abb. Gebunden. ISBN 3-85498-079-5. Preis: ATS 694,-/DM 95,-/sFr 87,-.
Abstract
Mit Das Hollywood Archiv haben die Autoren Paddy Calistro, Journalistin und Verlegerin bei Angel City Press, und Fred E. Basten, Verfasser zahlreicher Bücher über Hollywood, einen kulinarischen Bildband mit begleitendem Textkommentar aufgetischt, "der die Geschichte(n) Hollywoods von seiner Frühzeit bis zur Goldenen Ära, von 1896 bis in die sechziger Jahre erzählt".
Gleich vorweg, ein Hollywood Archiv als solches, d. h. als realer Ort, existiert nicht. Hinter dem Titel verbergen sich zahlreiche Institutionen, Archive und v.a. Privatsammlungen, die ihre Fotografien für die vorliegende Publikation zur Verfügung gestellt haben. Hollywood Archiv meint also einen imaginären, atmosphärisch-magischen Ort, der assoziative Bilder von "spinnwebverhangenen Räumen", angefüllt mit Filmen in "staubigen Blechbüchsen", voll mit "schäbigen Federboas" und Kostümen, mit vergilbten Fotografien und Presseaussendungen, evozieren soll, wie die Autoren im Vorwort des Buches darlegen. Schon hier lässt sich erahnen, dass es in dem Buch weniger um die Dekonstruktion von Klischees als um deren Fortschreibung gehen wird.
Erklärtes Ziel der Autoren ist, die unterschiedlichen Bereiche, aus denen sich der Mythos Hollywood zusammensetzt, zu bebildern und zu kommentieren. Hierbei präsentieren sie zahlreiche, laut Vorwort bislang noch nie veröffentlichte Bilder. Allerspätestens jedoch bei dem Kapitel Marilyn im Sucher, das Marilyn Monroe in den berühmten Nacktposen für Tom Kelleys Aktkalender zeigt, wird unmissverständlich klar, dass die Autoren bei weitem nicht so tief in die verstaubten Archivgewölbe vorgedrungen sein können, wie es das Vorwort ankündigt. Vielmehr jagt ein Déjà-vu das andere.
Wie der Untertitel Glamour und Geheimnis schon nahelegt, oszillieren die Kapitel zwischen zwei Polen: den Scheinwelten Hollywoods und dem Privatleben der Stars. Es geht um die Anfänge Hollywoods, um die Gründung der ersten Studios, um Zensur und Sittenwächter (beispielswiese um die Probleme der Zensur mit Johnny Weissmüllers Lendenschurz als Tarzan), um Stummfilmstars vor und hinter der Kamera wie Theda Bara oder Cecil B. DeMille, um das Aufkommen von Ton und Farbe im Film, um Traumfrisuren und Traumfiguren, um Hollywoods schönste Küsse, bewegendste Tränen und komischste Gesichter wie Danny Kaye oder Jerry Lewis, um die besten Eröffnungssätze berühmter Filme, um die Geschichte des Oscars und seiner Preisträger, um die privaten Wohnwelten der Stars samt Kindern, Autos, Haustieren, Swimmingpools und privaten Kochgewohnheiten, um die Betätigungsfelder der Stars außerhalb der Filmwelt (so z. B. um Clark Gables Einsatz im Zweiten Weltkrieg, nebst Bob Hope und Elvis Presley, oder um Bette Davis' Ratgeberkolumne für Liebeskranke) etc.
Neben unzähligen Fotografien mit von den Autoren verfassten Begleittexten versammelt das Buch auch Textdokumente von Personen, die selbst in der Hollywood-Industrie tätig waren oder sind. Zu Wort kommen Roger Corman, Shirley Temple, Cecil B. DeMilles Sohn, der über seinen Vater schreibt, Tom Kelley, Fotograf der berühmt gewordenen Aktfotos Marilyn Monroes, oder der Starjournalist des Hollywood Reporter Robert Osborne, der in einem umfangreichen Kapitel seine persönlichen Filmrankings präsentiert: die zehn besten Mantel-und-Degen-Filme, die zehn großartigsten und die neun unnötigsten Cary Grant-Filme etc.
So weit, so gut: Als luxuriös aufgemachtes Fanbuch - immerhin suggeriert schon der Kaufpreis des Buches, welch' wertvolle Anschaffung man getan hat - mit erlesenem Klatsch, mit Hitlisten und Superlativen, mit teilweise auch wirklich ansprechenden Bildern mag Das Hollywood Archiv ja akzeptabel sein und sicherlich eine bestimmte (Ziel-)Leserschaft zufriedenstellen, der immerhin die Möglichkeit gegeben wird, ihren persönlichen Stars zu huldigen. Mehr als einen orthodoxen Kniefall vor Hollywoods Ikonen bietet das Buch jedoch nicht.
Vor dem Lesen, oder besser: Durch-Schauen des Buches fragte ich mich, was den epistemologischen Wert eines Bildbandes ausmachen könnte bzw. wie ein Bildband trotz visuellem Schwerpunkt lesbar werden könnte. Der Anspruch, eine Geschichte des Kinos mit seinen ureigensten Mitteln, nämlich den Bildern, zu erzählen, ist ja eigentlich nur begrüßenswert, was spätestens seit Godard bekannt ist. Schließlich erlebt der Mensch die FilmWelt und ihre Stars vor allem in Bildern, und dementsprechend sollte ein FilmBuch die Ikonen der Filmgeschichte nicht nur im Wort, sondern auch im Bild erfahrbar und lesbar machen. Ich erinnerte mich an Kenneth Angers Hollywood Babylon oder David Ehrensteins Buch The Scorsese Picture und daran, welches Vergnügen und vor allem auch welche neuen An- und Einsichten mir diese Bücher boten. Daraus leitete ich meine Beurteilungskriterien ab: Wenn ein FilmBilderBuch über den rein kontemplativen Aspekt hinausgehen will, sollte es die Filmikonen in einem neuen, anderen Licht er-scheinen lassen, sollte es vor allem die Stars aus dem Image, auf das sie festgelegt wurden, befreien oder die performativen Zeichen der Oberflächenstruktur eines Stars herausarbeiten (Gesichtszüge, Körperhaltung, Frisuren, Accessoires wie Zigarren, Lederjacken oder Federboas...), die ihm seine unverwechselbare Metaphysik verleihen und ihn zu einem globalen Mythos werden ließen. Wie kommt es, dass ein Sterblicher durch seine zweidimensionale Repräsentation im Bild auf etwas Dahinterliegendes, Tieferes oder Höheres verweist und somit zu einem Fenster in den Himmel wird? Worin ja bekanntlich das Wesen einer Ikone besteht. Besondere Bedeutung sollte auch der Anordnung und Gegenüberstellung von Bildern zukommen, durch die sich neue Zusammenhänge und Linien ergeben, Kontraste und Analogien entstehen können.
Während Kenneth Anger mit Hollywood Babylon eine psychische und physische Verfallschronik Hollywoods vorlegte, indem er die Filmikonen dekonstruierte, das Rampenlicht auf die Schattenseiten, das Verdrängte (Sucht, Intrigen, Skandale) Hollywoods richtete und dadurch die Stars eigentlich aus ihrem Image befreite, kommt Das Hollywood Archiv nicht über den kontemplativen Effekt hinaus. Es erzielt maximal einen Wiedererkennungseffekt. Die Stars bleiben in ihrem Image gefangen, der Betrachter frönt der Anamnese und die Mythen schreiben sich fort. Welche Frisur war wann populär? Welches Kleid wann in Mode? Solche und andere Fragen werden in dem Buch ausführlich beantwortet. Wer jedoch erfahren will, was aus den Stars geworden ist, sollte besser Hollywood Babylon lesen. Und wenn im Hollywood Archiv versucht wird, die Stars in einem anderen, privateren Licht erscheinen zu lassen, dann nur darum, um sie noch mehr zu verklären: Steve McQueen beim Babywickeln, Paul Newman beim Kochen etc.
Zudem erscheint die Auswahl und Anordnung der Bilder, wie überhaupt die Gliederung des Buches äußerst konzeptlos und undurchdacht. Das Buch präsentiert sich zwar in einer eleganten Aufmachung, hinter der luxuriösen Oberfläche herrscht jedoch zusammenhangloses Chaos. Neue Erkenntnisse über Linien oder Zusammenhänge lassen sich nicht gewinnen. Auf ein Kapitel über Hollywoods Modewelt folgt ein Kapitel über "behaarte Helden" à la King Kong und Co. Was zwar auf den ersten Blick originell wirken mag, bleibt jedoch schlussendlich nur pseudolustige Effekthascherei und erinnert stark an die lückenhaften Filmbücher, die von der Zeitschrift Cinema in gewissen Abständen herausgegeben werden - nur sind diese billiger.
Vor allem bleibt unklar, ob nun die oberflächlichen Texte Beiwerk der Bilder oder die konzeptlos angeordneten Fotografien Beiwerk der Texte sind... also, was befindet sich im Zentrum des Buches? Vielleicht das Layout?!
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